Neujahrsvorsätze – Zum Scheitern verurteilt
Es ist doch jedes Jahr das Gleiche. Voll motiviert heißt es dann gegen Ende Dezember: „Im neuen Jahr wird alles anders“, „2021 wird das Jahr der Veränderung“ und „Diesmal halte ich meine Vorsätze wirklich ein!“ Die große Ernüchterung folgt dann meist schon im Jänner. Denn die meisten unserer Neujahrsvorsätze sind zum Scheitern verurteilt. Wieso das so ist und was Sie dafür tun können, dass es nicht so bleibt.
Für Johanna stand es eigentlich schon im September fest: Der 1.1.2021 würde der Anfang vom Ende sein – vom Ende ihrer Rauchkarriere. Es war 02.12 Uhr, das hatte sie sich genau gemerkt, als sie am Heimweg von der Silvesterparty die letzte Zigarette, die sie noch im Päckchen hatte, mit ihrem letzten Streichholz anzündete. Alle Rauchutensilien wie Feuerzeuge, Aschenbecher und Notfalls-Nikotinrationen hatte sie vorsorglich schon am Nachmittag davor kategorisch aus ihrer Wohnung verbannt.
Peter ließ es sich zwischen Weihnachten und Neujahr so richtig gut gehen. Kein Nachschlag war ihm zu viel, kein Keks zu buttrig, kein Punsch zu süß. Voller Freude und Genuss gab er sich der Völlerei hin, denn er wusste genau: Ab 1.1.2021 würde alles anders werden. Alles! Der Arzt hatte ihn schon auf sein Übergewicht und sein zu hohes Cholesterin aufmerksam gemacht und für den Genussmenschen Peter stand fest: „Meine Ernährung muss sich gänzlich ändern!“ Ab Jänner würde er für ein halbes Jahr konsequent auf Schokolade, sein geliebtes Cola am Abend und das sonntägliche Schnitzl verzichten. 1500 Kalorien, mehr würde es für ihn pro Tag im Jahr 2021 nicht geben. Genüsslich verschlang er in diesem Wissen um kurz vor Mitternacht noch eine Packung Rumkugeln.
Julia startete gleich mit zwei großen Vorsätzen ins neue Jahr: „Mindestens vier Mal pro Woche Sport und Freundschaften intensiv pflegen – ein Abend pro Woche Freunde treffen“ stand auf einem kleinen Briefchen, das sie gemeinsam mit anderen Gästen auf einer Silvesterfeier an einem Luftballon in den Himmel steigen ließ. Zufrieden – als hätte sie ihre Ziele längst erreicht – blickte sie dem im Wind flatternden Zettelchen nach.
Unzufriedener als zuvor
Gegen 17:23 am Neujahrstag stand Johanna vor dem Zigarettenautomaten bei ihr ums Eck und kaufte sich unter Tränen ein Päckchen ihrer Lieblingssorte. Sie fand doch noch ein Feuerzeug in einer ihrer Handtaschen und rauchte sich zwei Zigaretten hintereinander an. So viel Selbstverachtung hatte sie noch nie verspürt.
Peter hielt die ersten Tage gut durch. Abends gab es Steak mit Gemüse natürlich ohne Kohlehydrate. Klar, Wasser schmeckte nicht so aufregend wie Cola, aber das war auszuhalten. Und überhaupt gingen ihm weder Gummibärchen noch Tortenstücke ab – bis zum 6. Jänner. Am Feiertag war er bei seiner Tochter eingeladen. Es gab Schnitzl und Torte und Cola und den letzten Rest an Weihnachtskeksen. Vollgefuttert saß Peter abends vor dem Fernseher. „Ich schaffe es ja doch nie!“, sagte er sich, bevor er sich noch eine Flasche Cola aufmachte und resignierend seine Vorsätze gänzlich abschrieb und gleichzeitig ernstlich Angst um seine Gesundheit bekam.
Julia hatte schon den Neujahrsmorgen mit einer großen Joggingrunde begonnen. Am Mittwoch darauf war sie im Fitnessstudio. Weil ihr die Freundin, mit der sie Abendessen gehen wollte, für Donnerstag spontan absagte, nutzte sie den Abend für ein auspowerndes Workout. Am Sonntag zog sie Resümee. Sie hatte weder eine Freundin getroffen, noch ihr 4-mal-pro-Woche-Pensum an Sport geschafft. Am Wochenende war einfach zu viel liegen gebliebene Arbeit zu erledigen gewesen. Sie verurteilte sich noch am Sonntag heftig: „Nicht mal eine Woche halte ich durch, was bin ich nur für ein schwacher Mensch!“. Völlig frustriert ging sie ins Bett.
Kein guter Deal
Johanna, Peter und Julia haben eines gemeinsam: Sie alle haben sich viel zu optimistisch, ja fast schon unrealistisch, mit der Definition ihrer Ziele auseinandergesetzt. Kaum eine Woche nach Silvester sind alle Drei an ihren Vorhaben gescheitert und plagen sich neben dem Gefühl des Scheiterns nun auch noch mit inneren Vorwürfen. Doch woran liegt es, dass wir gerade in der Zeit des Jahreswechsels so unrealistisch an unsere Ziele herangehen? Möglicherweise ist es die gewisse Magie, die sich in der Zeit zwischen den Jahren ausbreitet. Ein Neuanfang hat immer etwas Positives und eben Magisches, das sich von Tatendrang getragen anfühlt. Wir kommen ins Schwärmen. Der Zauber des Jahreswechsels lässt uns verklärt auf das Vergangene blicken, trübt aber auch den Blick in die Zukunft. So scheint es uns im Glanz des Feuerwerks ganz realistisch, dass wir mit ein bisschen Selbstbeherrschung das Ziel, ein Jahr lang keine Schokolade mehr zu essen, locker erreichen können. Mit einem Stück Torte in der Hand lässt sich das auch ganz leicht vorstellen, zumal wir in der glücklichen Feierlaune der Silvesternacht nicht daran denken, dass es uns ja auch wieder einmal schlechter gehen könnte. Und dass wir uns nach einem hektischen Tag im Büro und dem zu Hause stattgefundenen Streit mit dem Partner oder der Partnerin vielleicht doch ganz gern mit einem Schokopudding werden belohnen wollen. Zusammengefasst: Die Drei in unserem Beispiel haben sich nicht nur völlig unrealistische Ziele gesteckt, sondern auch nicht daran gedacht, wie sie diese denn in anspruchsvollen Zeiten überhaupt einhalten können. Außerdem sind wir in unserem Wesen – salopp formuliert - Gewohnheitstiere. Eingeübte Muster zu durchbrechen bedarf nicht nur der ausgiebigen Betrachtung der Muster an sich, sondern es benötigt viele kleine Schritte. Gewohnheiten durchbricht man selten mit einem einzigen großen Sprung. Ihre Vorhaben waren so schon von vornherein zum Scheitern verurteilt und kratzen nun so noch dazu an ihrem Selbstwert. Die kleine Euphorie der guten Vorsätze hat sich in belastende Selbstzweifel verwandelt. Kein wirklich guter Deal.
Die Illusion der Kontrolle
Der Mensch neigt jedoch dazu, schlechte Erfahrungen beiseite zu schieben. Und so kann es gut sein, dass sich Johanna, Peter und Julia im nächsten Jahr in der Silvesternacht wieder ganz euphorisch ihren unrealistischen Zielen widmen. Die schlechte Erfahrung mit den Vorsätzen aus dem letzten Jahr haben sie da meistens nämlich ganz einfach schon wieder vergessen. Trotzdem werden eifrig neue Pläne fürs kommende Jahr gemacht, denn die Struktur von klaren Vorsätzen vermittelt uns ein Gefühl der Selbstbeherrschung - und somit der Kontrolle. Wer das Gefühl hat, die Kontrolle zu besitzen, kann oft mit Stresssituationen besser umgehen. Es ist also kein Wunder, dass wir uns dieses Gefühl mit den guten Vorsätzen immer wieder ins Boot holen wollen.
Kleine Schritte statt großer Sprünge
Wer nicht auf die guten Vorsätze verzichten will und gleichzeitig innere Enttäuschung vermeiden möchte, sollte an die Neujahrsziele etwas weniger euphorisch herangehen. In vielen Bereichen schätzen wir uns in guter Stimmung nämlich besser ein als wir sind. Dann bürden wir uns zu viel auf. Wichtig für erfolgreiche Vorsätze ist also ein gewisser Realitätsbezug. Helfen kann z.B., sich schon Tage vor Silvester mit einer Liste an den Schreibtisch zu setzen und aufzuschreiben, was man im kommenden Jahr erreichen möchte. So können Sie sich Ihren Alltag besser vorstellen als in der ausgelassenen Stimmung einer Silvesterparty. Wichtig dabei ist, dass Sie sich kleine Ziele setzen oder ihre Vorsätze in Teilziele unterteilen. Anstatt „Mindestens vier Mal pro Woche Sport“ für einen ausgesprochenen Sportmuffel könnte auf dem Zettel stehen „Ich möchte gerne zwei Mal pro Woche Sport machen, schaffe ich drei Mal ist es toll, wenn ich vier Mal hinkriege, ist das grenzgenial“. In der ersten Variante sind Sie von sich selbst enttäuscht, wenn Sie nur drei Mal Laufen gehen. In der zweiten Variante haben Sie allen Grund, auf sich stolz zu sein, wenn Sie drei Mal die Laufschuhe rausgeholt haben. Ähnlich verhält es sich mit gesunder Ernährung. Teilziele und realistische Vorsätze helfen beim Durchhalten. Vergessen Sie nicht: Ein Jahr ist sehr lang - und vieles, das Sie heute noch nicht wissen, könnte schon in drei Monaten Ihren Alltag völlig durcheinander bringen. Anstatt „Ausschließlich gesund ernähren“, könnte Ihr Vorsatz also lauten „Bewusster auf gesunde Ernährung achten, Schokoladekonsum einschränken und sich dabei Ausnahmetage genehmigen.“ In der zweiten Variante ist die Chance jedenfalls größer, dass Sie auch im August noch stolz auf sich selbst sein können.
Bevor Sie jetzt also über ihre nicht eingehaltenen Vorsätze verzweifeln, gönnen Sie sich doch ein wenig Selbstironie und schmunzeln über Ihren Übereifer zu Silvester. Das nächste Jahr bietet eine neue Chance, sich realistische Ziele zu stecken. Denn: Mit kleinen Schritten kommen Sie zwar vielleicht langsamer, dafür aber sicher an Ihr Ziel. Wer zu große Schritte macht, der läuft Gefahr zu stolpern.
Silvia Podlisca
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